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Die Drogerie hinter dem Hof

In dieser Rubrik wartet die Natur mit facettenreichen Pflanzenschätzen auf, die unseren Alltag begleiten – dem Weissdorn zum Beispiel.

Wenn in Ihrer Nähe ein Weissdorn (Crataegus monogyna aggr.) wächst, können Sie sich glücklich schätzen! Schon allein der Anblick seiner weissen Blütenpracht lädt dazu ein, innezuhalten und ein bisschen zu verweilen. In frühen Zeiten der Landwirtschaft war das dornige Gehölz eine wichtige Abgrenzung, um das Weidevieh «in Zaun» und das Wild fern zu halten. Das undurchdringliche Gestrüpp inspirierte die Menschen zudem, allerlei Magisches damit zu verbinden – Krankheiten und schlechte Gewohnheiten wurden «auf den Baum übertragen», wo sie in den Dornen stecken blieben. Oder es wurden Kinderwiegen aus dem harten Holz gefertigt, um böse Geister abzuwehren.

Medizinisch wurde er kaum genutzt. Dies änderte sich im 19. Jahrhundert, als Forschende aufzeigten, dass er herzwirksam ist. Und zwar nicht wie die bekannten giftigen Herzpflanzen Fingerhut, Maiglöckchen oder Herbstzeitlose. Diese beeinflussen in kleinster Menge den Herzrhythmus und gehören deshalb in die Hände von Ärztinnen und Ärzten. Beim Weissdorn sind weder Überdosierungen noch gravierende Nebenwirkungen bekannt und dennoch wirkt er verlässlich. Eingesetzt wird er bei altersbedingt nachlassender Herzleistung und zur Kräftigung. Typischerweise wird dafür ein Herzwein zubereitet. Wer keinen Alkohol trinkt, brüht sich täglich eine Tasse Tee auf. Und so hat die schützende Wirkung auf den Menschen überdauert – weniger magisch, dafür jedoch pharmazeutisch …

Bis heute überdauert hat auch der Schutz des Landes. Dafür nochmals zurück zu Hecken und vergangenen Zeiten: Ob nun der Weissdorn oder andere stachlige Heckengehölze, sie alle wurden geehrt und hochgeachtet. Denn sie waren das Zuhause von allerlei Feenvolk, und schaute man gut zu diesen Wesen, kümmerten sie sich um das umgebende Land. Heute weiss man, dass sie zwar Flügel besitzen, jedoch anders heissen: Dorngrasmücke zum Beispiel, Neuntöter, Nierenfleck-Zipfelfalter oder Weissdorneule. Und auch wenn Vögel und Insekten keine magischen Wesen sind, einen positiven Einfluss auf das umgebende Land haben sie – keinen feenhaften, aber Artenvielfalt kann ja auch verzaubern.

Welch ein Glück also, wenn man sich bei Sonnenuntergang hinaussetzen kann, begleitet vom Gesang der Heckenvögel ein kleines Gläschen Herzwein geniesst, und sich das abendliche Licht in der Blütenpracht des Weissdorns bricht. Beste Voraussetzungen, um zusammen mit dem bis zu 100 Jahre alt werdenden Weissdorn glücklich alt zu werden.

Herzwein mit Weissdorn

Medizinalweine sind eine alte Art von Heilmittel, welche auch heutzutage vereinzelt noch zu finden sind. Der Alkoholgehalt kann die Wirkstoffe der Pflanzen gut lösen und ist zudem konservierend. Da dem Rotwein eine positive Wirkung auf das Herz nachgesagt wird, scheint die Kombination von Rotwein und Weissdorn eine passende Herzensangelegenheit zu sein. Pharmazeutisch wird unter den verschiedenen Weissdorn-Arten nicht unterschieden. Somit können der Eingrifflige (Crataegus monogyna) und der Zweigrifflige Weissdorn (C. laevigata) wie auch alle Zwischenarten (C. monogyna aggregat) verwendet werden.

Grobe Angabe der Zutaten
1 l Portwein
3 Handvoll Weissdornblüten mit Blättern
nach Belieben etwas Honig
 

Herstellung

  • Während der frühen Blütezeit werden Weissdornblüten und -blätter gesammelt und kleingezupft.
  • Ein grosses verschliessbares Glas bis zur Hälfte oder bis zu einem Drittel mit den Blüten und Blättern füllen.
  • Diese mit Portwein begiessen, bis das gesamte Pflanzenmaterial gut bedeckt ist.
  • Falls gewünscht, kann zusätzlich mit Honig gesüsst werden.
  • Das verschlossene Glas 3 bis 4 Wochen an einem dunklen Ort stehen lassen und gelegentlich schwenken.
  • Danach durch ein Sieb oder einen Kaffeefilter geben, in eine dunkle Flasche abfüllen und beschriften.

Variationen
Alternativ zu Portwein kann auch Rotwein verwendet werden. Für die bessere Haltbarkeit sollte der Alkoholgehalt auf ca. 20 % vol erhöht werden. Zum Beispiel 750 ml Rotwein mit ca. 13 % vol Alkohol und 250 ml Vodka mit ca. 40 % vol Alkohol.

Im Herbst können statt der Blüten die roten Früchte auf dieselbe Weise verwendet werden. Hierfür die Früchte mit einer Gabel etwas zerdrücken, bevor der Portwein zugegeben wird.

Anwendung
Ein Liter Herzwein reicht für eine knapp 8-wöchige Kur, bei der jeden Abend 1 Schnapsgläschen à 2 cl getrunken wird (alkoholspezifisch entspricht dies abendlich etwa 1 dl Bier). Haltbar ist der Herzwein ca. 6 Monate, bei einer Lagerung im Kühlschrank.

Sicherheitshinweis
Selbstmedikation basiert auf Eigenverantwortung. Krankheiten am Herz können schwerwiegende Folgen haben und sollten immer mit einer medizinischen Fachperson besprochen und diagnostiziert werden. Befindet man sich bereits in Behandlung, sollte eine Therapie-Ergänzung ebenfalls mit der betreuenden Fachperson besprochen werden.

Giovina Nicolai

Sie ist Dipl. Drogistin HF, Galenikerin und Bierbrauerin. Ihren Beruf übt Giovina im Labor einer Berner Apotheke aus, ihre Leidenschaft für (Heil-)Pflanzen und die Bierbraukunst teilt sie unter anderem in Workshops – in ihrem eigenen «Pflanzenlabor».